Gestern war meine Sicht bewölkt. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich hatte wieder meine sehr zeitlich engmaschige Netzhautkontrolle. (Ich bin ja einäugig und leider ist seit meinem Unfall das gute Auge betroffen. Die Netzhaut reißt, vernarbt und trübt mir die Sicht. Kommt es zur Mitte – zur Linse – na dann kann es dunkler werden. Ich kenn die Tatsachen, aber es beunruhigt mich nicht. Mir wurde schon viel vorhergesagt J) Der Arzt betreut mich seit 5 Jahren und gibt mir wirklich das Gefühl keine Nummer seiner vielen PatientInnen-Dateien zu sein. Er begrüßt mich mit Namen (leider keine Selbstverständlichkeit bei Ärzten), er sieht mir ins Gesicht, wenn er mit mir redet, er hat alle Entwicklungen seit 2012 mitverfolgt und spricht diese auch oft an, er erkundigt sich nach meinem Tagesablauf und Berufsleben, er verabschiedet mich mit Handschlag (welcher Arzt gibt schon gerne die Hand… J eine Beobachtung bei vielen, vielen Arztterminen) und er sagt mir: Alles im grünen Bereich, weiterhin achtsam bleiben, negativen Stress vermeiden. So, jetzt ist das Reizwort ausgesprochen. STRESS. Immer wieder bemerke ich in meinem Bekannten- und Freundeskreis, dass auf die Frage: Wie geht es Dir? – die Antwort: Es ist stressig. – kommt. Lange habe ich es gehört, registriert, aber nichts dazu gesagt. In den letzten Wochen fiel mir das „nix sagen“ immer schwerer. Ich fing an meine Definition von STRESS auszusprechen, meine Sichtweise darzustellen. Hören will das vielleicht keiner, einige nehmen es vielleicht war und wenige denken vielleicht darüber nach.
Wir entscheiden, wir müssen nur den Mut dazu haben. Das Wort STRESS habe ich aus meinem Wortschatz gestrichen. Absolut. Wie kam es dazu? Ich war ja bereits in der „Pension“, hätte es mir richten können und mich mit meiner Situation zufrieden gegeben. Nein, so war es nicht. Ich wollte wieder in die Arbeitswelt. Ich wollte wieder aktiv meine Hobbies ausleben können. Ich wollte „mein“ Leben zurück. Jetzt im Nachhinein sehe ich erst, dass ich zwar nicht mein „altes“ Leben führe, aber ein viel „spannenderes, bewusst entscheidendes“ Leben gewonnen habe. Ich musste bzw. muss alles sehr bewusst und achtsam machen. Ich darf meinen Körper fordern, aber nicht überfordern. Nur stressen darf ich ihn – noch meinen Geist – nicht. Um auf die Augen zurückzukommen. Ich fragte einst: was kann ich tun, um eine Besserung einzuleiten? Antwort: negativen Stress vermeiden! Uih, was heißt das jetzt für mich? Meine Gedanken ratterten. Ich verdiene als Selbständige nur, wenn ich arbeite. Bei all meinen Ausfällen und Reha- oder Kuraufenthalten habe ich da schon natürliche Stehzeiten. Ich führte einen strickten Tagesablauf ein. Ich stehe zwischen 5 und 6 Uhr auf, geh zwischen 7 und halb 8 außer Haus, esse pünktlich zur Mittagszeit, arbeite bis 15 bzw. 16 Uhr, koche für meine Kinder, trainiere beinahe jeden Tag und um 22 Uhr bin ich spätestens im Bett. Kein Arbeiten am Abend und am Wochenende (außer Haushalt, Wäsche und Garten). Natürlich merkte ich sehr schnell, das reicht nicht aus. Ich arbeite gerne und empfinde meine Aufgaben wirklich nicht als Belastung, doch jeder Mensch redet von Stress, von Hektik. Es muss alles sehr schnell gehen, alle sind sehr „wichtig“ und immer erreichbar. Ich entschied: Ich bin nicht so wichtig, ich muss keine E-Mails am Handy empfangen. Wenn ich arbeite, arbeite ich. Wenn ich trainiere, trainiere ich. Wenn ich bei meinen Kindern bin, bin ich einfach da. Erster Schritt war gemacht. Viel entscheidender war aber der nächste. Ich veränderte mein Wording. Das Wort STRESS verwende ich aus Überzeugung nicht mehr. Ich habe viel zu tun, dafür sage ich übrigens DANKE. Ja, ich habe viel zu tun und gerade dies sorgt für Abwechslung. Kein Tag ist gleich – genau das ist das Schöne an meinem Berufsalltag. Der Arzt fragte mich gestern wieder: Wie sieht es mit dem Stress aus? Ich musste laut lachen und erwiderte: Das Wort kenn ich nicht. So, nun habe ich mal den Stress von meiner Seite in den Griff bekommen. Die dritte Erkenntnis war: Was mache ich, wenn andere versuchen ihren eigenen Stress auf mich zu übertragen oder Situationen schaffen, die ich scheinbar schwer beeinflussen kann? Betonung auf „scheinbar“. Natürlich ist es menschlich, Emotionen zu leben. Das ist auch gut so, aber ich muss nicht mehr den Rucksack anderer tragen. Ich zeige Mitgefühl und kein Mitleid. Ich kläre Unstimmigkeiten direkt. Ich versuche nicht zu werten und andere anzunehmen, wie sie sind. Situationen, die ich selbst nicht ändern kann, nehme ich an. Ich entscheide.
Und: meine Augen werden nicht schlechter. Es verhält sich alles im grünen Bereich, die nächste Untersuchung ist erst in 5 Monaten und ich gehe jetzt schon davon aus, dass es dann wieder so ist. Ach ja und meine Oma sagte immer: von Schwarzbeeren (Heidelbeeren) werden die Augen gut. Ob es nun das Beerenobst ist, meine innere Einstellung oder einfach Glück. Das ist nicht wichtig. Das Ergebnis zählt.